Eröffnung des frühen Konzentrationslagers vom 9. auf den 10. März 1933

In der Nacht, die auf den 9. März 1933 – dem Tag der Übernahme der Regierungsgewalt durch die Nationalsozialisten in Bayern und der damals bayrischen Pfalz – folgte, wurden die ersten Menschen in die Turenne-Kaserne verschleppt und inhaftiert. Unter den ersten Inhaftierten befinden sich 33 kommunistische Funktionäre sowie neun dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zugeordnete Personen aus Speyer. Der Fokus der Faschisten politische Gegner – vor allem diejenigen, welche der Machtübernahme der Nazis nicht tatenlos zusehen würden – offenbart das politische Kalkül der Verhaftungen: Wenn es in der Öffentlichkeit niemanden mehr gibt, der oder die gegen die Faschisten kämpft, lässt sich das faschistische Herrschaftsprojekt ungestört errichten und konsolidieren. Schon binnen weniger Tage waren in der gesamten Pfalz über 800 Menschen in sogenannten frühen KZs (in Neustadt, Landau und Enkenbach) inhaftiert. Kurz nach Eröffnung des Lagers in Neustadt, zählte das frühe KZ bereits über 275 Inhaftierte aus der gesamten Pfalz und war damit bereits überfüllt.
Der Begriff „frühes KZ“ stellt die Funktion – dem Unschädlichmachen politischer Gegnerinnen und Gegner – dieser frühen Terror-Orte heraus. 1933 jedoch wurden euphemistische Begriffe wie „Lager“ oder „Arbeitslager“ gewählt. Aber auch der Begriff „Konzentrationslager“ als Bezeichnung für das frühe KZ in der Turenne-Kaserne wird in den Quellen der Faschisten explizit genannt.
Die Inhaftierungen – auch in dieser frühen Entwicklungsphase des faschistischen Terrors – beschränkten sich jedoch nicht ausschließlich auf politische Gegner. Die Vorreiterrolle, welche die Pfalz im Nationalsozialismus in Aspekten des Antisemitismus spielte, verdeutlicht sich an der mit 10% – im Vergleich zu den Inhaftierungen an anderen frühen Konzentrationslagern – relativ hohen Anzahl an jüdischen Inhaftierten.
Während der Befehlsbescheid zur Auflösung des Konzentrationslagers bereits Mitte April 1933 – d.h. knapp sechs Wochen nach Errichtung des Lagers – erging, endete die Verfolgung und der Leidensweg der Inhaftierten durchaus nicht. Oftmals von der Haft nur „beurlaubt“ anstelle einer ordentlichen Haftentlassung, sahen sich viele der ehemals Inhaftierten aufgrund schikanöser Auflagen de facto mit einem Berufsverbot konfrontiert. Wiederum andere Inhaftierte wurden nicht beurlaubt, sondern in das „Modell“-Konzentrationslager Dachau verschleppt.
Körperliche und psychische Folter zählten zum Haft-Alltag der Gefangenen ebenso wie die dauerhafte und vollständige Entrechtung und Entwürdigung. Das Überleben der Inhaftierten hing von den Entscheidungen der SA- und SS-Wachmannschaften ab, welche nicht davor zurückscheuten von äußerster Gewalt Gebrauch zu machen. Die gleichzeitige Unterbringung des Freiwilligen Arbeitsdienstes in der Turenne-Kaserne, benachbarte landwirtschaftliche Flächen, die bestellt wurden, sowie die Berichterstattung in Zeitungen zeichnen zusätzlich das folgende Bild: Das Argument vieler Deutscher nach dem Nationalsozialismus „Wir haben nicht gewusst, was passiert ist“ ist nicht tragbar.
Dass vor aller Augen Konzentrationslager im gesamten ehemaligen Reichsgebiet ohne größeren Widerspruch errichtet werden konnten, mahnt daran, sich den faschistischen Mechanismen und Wirkweisen bewusst zu werden, welche genau diese Form der Isolierung, Ausgrenzung, Konzentration und letztlich der millionenfachen Ermordung ermöglicht haben. Denn eine zentrale Erkenntnisse historischer Forschung lautet: Der Massenmord hat als solcher nicht begonnen. Die frühen Konzentrationslager sind Orte des Auftakts des Terrors.
„Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben. Es kann geschehen, überall. Weder kann ich noch will ich behaupten, dass es geschehen wird“ – Primo Levi, Überlebender des Vernichtungslagers Auschwitz und Schriftsteller